Die IT in deutschen Krankenhäusern befindet sich mehr denn je in einer Achterbahn der Chancen und Herausforderungen. Auf der einen Seiten erfolgen mit Förderprogrammen wie dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) und der Wahrnehmung der Interoperabilität nach jahrzehntelanger Forderung nun zielgerichtete Investitionen und Vorgaben im Bereich der klinischen Prozesse und der IT-Sicherheit. Auf der anderen Seite entstehen Risiken durch die fehlende Anschlussfinanzierung, den Fachkräftemangel und vor allem die wechselnden und oftmals unrealistischen regulatorischen Vorgaben. War bisher der Betrieb einzelner großer Softwaresysteme und der zu Grunde liegenden Infrastruktur im eigenen Rechenzentrum die Aufgabe, rücken nun medizinische Datenstrukturen, Prozesse und daraus abgeleitete Enterprise-Architekturen mit durchgehender Patientenzuordnung innerhalb der Klinik sowie Prozesse außerhalb der Klinik in den Fokus. Von Georg Woditsch, Münster, Leiter Referat Digitalisierung, Alexianer GmbH
1. Aufbau der IT-Abteilung
Heute haben sich in vielen Krankenhaus-IT-Abteilungen vor allem vier Säulen etabliert: der Betrieb der technischen Infrastruktur, der betriebswirtschaftlichen Systeme, der klinischen Systeme und die Service-Prozesse. Angrenzende Abteilungen wie die Medizintechnik oder die Kommunikationstechnik wachsen durch die zunehmende Vernetzung der Medizingeräte und dem Informationsaustausch durch mobile Kommunikation näher an die IT heran.
Die Basis-IT-Infrastruktur der Kliniken entwickelt sich, nicht zuletzt durch die in den vergangenen Jahren stattgefundene Virtualisierung der Serverlandschaften, generell zu Standard-Plattformen. Derartige Architekturen werden sich perspektivisch noch weiter zur Skalierung und ggf. zum Fremdbetrieb eignen. Die Entwicklung der Applikationen weg von Client-Server-Architekturen hin zu Web-Applikationen unterstützt und beschleunigt diesen Weg. Sowohl das physikalische Basisnetzwerk und die drahtlosen Übertragungstechnologien der Klinik, aber auch das entsprechende (mobile) Endgerätemanagement werden damit zum Fundament für den klinischen Betrieb.
Regulatorische Themen wie die Informationssicherheit, die gemeinhin mit Schlagwörtern wie Firewall, Virenschutz und USB-Verbot nur in der IT angesiedelt war, werden zu organisatorischen Gesamtaufgaben einer Klinik. Die Positionen, um normative Vorgaben für den Klinikbetrieb anzuordnen, werden zunehmend direkt im Bereich der Unternehmensführung mit entsprechenden Durchgriffsrechten etabliert. Dies bietet die Möglichkeit, die Verantwortung gezielter zu verteilen und die notwendigen Maßnahmen stringenter umzusetzen.
2. Steigende Anforderungen an User-Management und Servicestrukturen
Ein weiterer Fokus liegt auf dem Management von Benutzerdaten. Wurde früher ein User einzeln in jeder Applikation und mit separaten Rechten angelegt, sollte heute ein durchgehendes Identity Access Management (IAM) erfolgen, das Zugriffe vom Küchensystem, über das KIS bis auf die Bildungshistorie des Mitarbeiters einheitlich von allen Endgeräten ermöglicht. Der Betrieb solcher IAM-Systeme (u. a. Single Sign on Lösungen) bleibt Aufgabe der IT-Abteilung, wohingegen das Management der Benutzerrechte und die Personalstammdatenstruktur weitere strategische Aufgabe der Klinik außerhalb der IT sind.
Neben den Mitarbeitenden der Klinik rücken zukünftig zusätzlich die Patienten als User in den Verantwortungsbereich der IT-Abteilung: nicht nur durch den Online-Anmeldeprozess, die Verbindung zu seiner elektronischen Patientenakte (ePA) und weiteren Diensten der Telematik-Infrastruktur (TI), sondern auch durch Muss-Kriterien wie die Möglichkeit zur Einbindung in den Behandlungsprozess. Jeder einzelne User bedeutet gleichsam zusätzliche Lizenzen, Sicherheitsrisiken, Netzwerkressourcen, Hotline-Anrufer und vieles mehr. Derartige Aufgaben können durch die bestehenden Ressourcen der IT-Abteilungen ohne angepasste Servicemodelle und Vergütungen nicht mehr abgedeckt werden.
Ergänzt wird diese Belastung durch die Verpflichtung zu Patientenportalen und zur intersektoralen Vernetzung im Rahmen des KHZG und der TI. Die anzubindenden Praxen und niedergelassenen Strukturen haben oftmals keinen geregelten IT-Support, geschweige denn die notwendigen Standards oder ein Sicherheitsdenken. Die Kliniken sollen gleichzeitig jeweils eigene Patientenportale und Plattformen zur Nachbehandlung für alle Beteiligten betreiben, obwohl dadurch noch keine abrechenbaren Leistungen generiert werden. Hinzu kommt, dass viele dieser Patientenportale in größeren Städten und Regionen durch unterschiedliche Krankenhäuser je Stadt parallel betrieben werden, während mit der ePA ohnehin eine gesetzlich vorgeschriebene Datenplattform existiert. Einzig die Angebote zu telemedizinischen Anwendungen könnten ein sinnvoller Geschäftsprozess für die Klinik sein. Es darf daher offen gefragt werden, ob die Dienstleistung für Gesundheitsdaten außerhalb der Klinik tatsächlich die Aufgabe der Klinik-IT-Abteilung ist. Vielmehr sollte der Gesetzgeber hier neue Strukturen, Verantwortlichkeiten und Vergütungsmodelle schaffen.
Das Weiterentwickeln der Serviceprozesse einer IT-Abteilung findet aber nicht nur auf Basis der steigenden User statt, sondern auch durch die Kritikalität der betroffenen klinischen Prozesse. Längst werden nicht mehr nur die Dokumentationsprozesse im klinischen Alltag unterstützt. Durch die stetig steigende Vernetzung der Systeme und die Bereitstellung strukturierter Daten ist die Behandlung des Patienten vollständig abhängig vom Betrieb der IT-Systeme geworden. Dieser Umstand erfordert nun ein übergreifendes Kontinuitätsmanagement und Serviceprozesse, die diese Ansprüche erfüllen können. Ausgelagerte 1st Level-Prozesse und die Etablierung professioneller IT-Service-Rahmenwerke wie ITIL ebenso wie skalierbare externe Software- und Plattform-as-a-service-Modelle sind die notwendige Folge und heute schon in größeren Kliniken umgesetzt.
3. Neue Verantwortungsbereiche durch den Fokus auf den klinischen Prozess
Bisher gibt es für die ganzheitliche Betrachtung des medizinischen Prozesses in der Klinik nur selten definierte Verantwortliche. Es fehlt an Brückenbildnern, die zwischen den Anforderungen der Anwender, den gesetzlichen Vorgaben, den technischen Möglichkeiten und den operativen IT-Abteilungen vermitteln und Lösungen auf den Weg bringen. Das KHZG bietet an dieser Stelle einen wichtigen Impuls. Denn durch die MUSS-Kriterien - wirken sie manchmal noch so unsinnig für eine Klinik - wird der Einbezug der Anwender und damit die Prozessbetrachtung regelrecht erzwungen. Als Folge wird ein Change-Management notwendig, das durch die IT-Abteilung begleitet, aber nicht mehr verantwortet wird. Der Change-Prozess bietet auch die Möglichkeit, Schulungen sowohl für den Prozess als auch für die entsprechenden Softwaresysteme durchzuführen. Dadurch erfährt der neu eingeführte Prozess eine deutliche höhere Akzeptanz, Qualität und Sicherheit.
Eine weitere positive Entwicklung ist die Etablierung der Digitalisierungs- und Transformationsverantwortlichen. In vielen Kliniken wird die Chance einer neutralen Moderation und Strategieentwicklung, getrennt von der operativen IT, erkannt, sodass zusätzlich in den Führungsstrukturen Positionen wie die eines Chief Digital Officers (CDO) oder Chief Medical Information Officers (CMIO) entstehen. Die Unabhängigkeit ist dabei ebenso wie bei der Informationssicherheit unabdingbar, um die Neutralität zu wahren.
4. Management von Interoperabilität und Datenstrukturen
Durch Interoperabilitätsvorgaben wie zum Beispiel IHE-Frameworks, ISIK (Schnittstellenstandard für Informationstechnische Systeme in Krankenhäusern) oder FHIR bei DEMIS (Deutsches Elektronisches Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz) entsteht die Herausforderung, eine Verantwortung für die medizinischen Daten, ihre Architektur und die Nutzung zu etablieren. Es ist längst nicht mehr das Alleinstellungsmerkmal der Medizininformatik in Universitäten, sich in den Datennomenklaturen wie SNOMED CT oder LOINC zurechtzufinden. Auch Großprojekte wie die Medizininformatik-Initiative und ihre mittlerweile etablierten Strukturen zur Datenaufnahme aus den klinischen Systemen finden langsam den Weg in die allgemeine Krankenhauslandschaft. Die klassischen KIS-Systeme sind dazu immer noch zu starr und proprietär. Spätestens mit Blick auf die wirtschaftliche Abhängigkeit von den Herstellern wegen fehlender Interoperabilität ihrer Lösungen sollten Architekturen wie Clinical Data Repositories, die auf internationalen Standards wie IHE und FHIR-Spezifikationen basieren, ein Ziel sein.
Damit gehen aber auch Ausbildungskonzepte sowohl für die medizinischen Anwender als auch für die operative Umsetzung in der IT einher. Denn hier entwickelt sich eine Wissens- und Fachkräfteschere: Während größere Verbünde und Kliniken, allen voran die Universitätskliniken, das notwendige Personal ausbilden oder zumindest durch entsprechende Skalierung abbilden können, sind allgemeine Krankenhäuser auf den Zukauf externen Wissens bzw. auf gekapselte Lösungen der Systemhersteller angewiesen und vergrößern damit die Abhängigkeit zu den Lösungsanbietern.
Generell erfahren auch die IT-Abteilungen den immer stärker wahrnehmbaren Fachkräftemangel. Ausbildung findet kaum noch statt, und das Bild der Klinik-IT wird immer komplexer und spezieller, um zielgenaue, erfahrene Personen zu finden. Parallel dazu verlassen erfahrene Personen, nicht selten mit undokumentiertem Wissen im Kopf, die Unternehmen und hinterlassen große und im hektischen Betrieb kaum schließbare Lücken.
5. Dauerhafte Anpassungen der Strategie durch häufig wechselnde regulatorische Vorgaben
Neben den strukturellen Herausforderungen sind vor allem die gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben wie unter anderem der Datenschutz eine zunehmende Herausforderung für die IT-Abteilungen. Neben unrealistischen Vorgaben wie in der Orientierungshilfe Krankenhausinformationssysteme (OH KIS) bieten eine rechtzeitige Berücksichtigung und die Umsetzung der Maßnahmen aber auch die Chance auf Umsetzung der Wunschprozesse. Es bedarf in Deutschland dazu in Zukunft weiterer klarer und öffentlicher Stellungnahmen zum Beispiel zur Nutzung von externen Rechenzentren oder zu dem Patientendatenaustausch, an denen sich die einzelnen Kliniken orientieren können. So stünden heute nicht wenige Kliniken vor einem unlösbaren Problem, wenn der Patient beim Betreten der Klinik der elektronischen Verarbeitung seiner Daten nicht zustimmt.
An gesetzlichen Vorgaben wiederum mangelt es in Deutschland nicht. Vor allem in den vergangenen fünf Jahren überschlugen sich neue Gesetze, die teilweise aufeinander verweisen, jeweils aber mit unrealistischen Planungszielen bzw. technisch nicht ausgereiften Lösungen einhergehen. Jüngstes Beispiel ist die Einführung von DEMIS im September 2022. Fehlende Planungsvorgaben bis zum Tag der Entscheidung über das Gesetz, strafbewehrte Umsetzung zum Folgetag des Inkrafttretens und fehlende Definition der eigentlich zu übermittelnden Werte haben die durch das KHZG ohnehin ausgelasteten IT-Abteilungen schon unter Druck gesetzt. Die eigentliche Absurdität solcher Gesetze zeigte sich zwei Wochen später, als erste Gesundheitsämter die Kliniken baten, ihre Meldungen nicht elektronisch über DEMIS, sondern weiter per Fax zu senden, da elektronische Daten nicht verarbeitet werden können. Folge für IT-Abteilungen ist, dass dadurch nur den strafbewehrten Auflagen nachgearbeitet wird, aber keine sinnvollen, verlässlichen oder strategischen Planungen mehr möglich sind. Die technischen Lösungen der Hersteller folgen in der Regel erst einige Monate später und sind wie in diesem Fall mit so hohen Kosten verbunden, dass viele Kliniken die möglichen Strafen sogar als geringer ansehen und auf die Softwarelösung verzichten.
Die gesetzlichen Vorgaben haben zudem einen immensen Einfluss auf die Dokumentationsflut im deutschen Gesundheitswesen. Mehrfachdokumentationen, zusätzliche Leistungsdokumentationen, Einwilligungen oder unterschiedliche Berechtigungen, gepaart mit der Mißtrauenskultur zwischen den institutionellen Akteuren, sorgen dafür, dass Anwender - wie in vielen Studien beschrieben - mehr als die Hälfte ihrer Zeit mit der Dokumentation beschäftigt sind. Dabei zielen die aktuellen Gesetzesvorhaben primär auf die Symptome der Dokumentation und beheben nicht die Ursache, während die Anwender und Patienten wesentlich schlankere digitale Prozesse aus der Consumer-Welt einfordern.
6. Wandel als Gestaltungsspielraum
Die IT-Abteilungen der Krankenhäuser sind also deutlich intensiver im Wandel als früher: Komplexere Aufgaben, Managebarkeit von Services und Architekturen, kein übergreifendes Wissen mehr aus einer Hand, Prozess- und Datenorientierung im Fokus, schnellere Innovations- und Gesetzeszyklen, Anpassung der kulturellen Zusammenarbeit und viele Einflüsse mehr. Auch bei fehlender Unternehmensstrategie müssen IT-Abteilungen zumindest die Stützpfeiler einer IT- und Digitalisierungsstrategie definieren. Nicht zuletzt, um der eigenen Abteilung eine Richtung zu geben und an Attraktivität für die nachfolgenden und mit diesem schnellen Wandel vertrauten Generationen zu gewinnen.