Die nachfolgenden Ausführungen fokussieren stark auf Einrichtungen des Gesundheitswesens mit einem grundsätzlich stationären Versorgungsauftrag (Krankenhäuser). Da sich aber gerade für komplexe Gesundheitsleistungserbringer die Grenzen zwischen einer stationären und einer ambulanten Versorgung zunehmend verschieben und sich diese Bereiche immer stärker vernetzen, zumal diese selbst in zunehmendem Maße Anbieter von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), ambulanter Pflege- und Rehadienste etc. werden, soll hier im Weiteren keine explizite Abgrenzung erfolgen.
Aus Perspektive der Gesundheits-IT-Beratung manifestiert sich der aktuelle Stand der Informationsverarbeitung im Bereich der Gesundheits-IT als eine Synthese aus Fortschritt und Herausforderungen.
Auf der einen Seite hat die Digitalisierung in den Krankenhäusern und Einrichtungen des Gesundheitswesens in den vergangenen Jahren, aber vor allem seit dem Jahr 2021 einen wachsenden Stellenwert eingenommen. Dieser Trend wird sich bis 2024 aufgrund der bestehenden Fördermittelsituation und drohenden Sanktionsszenarien (KHZG) fortsetzen. Damit gehen zahlreiche Optimierungen im (stationären) Gesundheitssektor einher, unter anderem durch die Implementierung elektronischer Patientenakten und die konvergente Vernetzung von Gesundheits-IT-Systemen in Krankenhäusern und Arztpraxen (Stichwort Telematikinfrastruktur (TI)). Für die Krankenhäuser selbst hat damit eine Qualität in der Digitalisierung begonnen, die sich zunehmend mit der Prozess- und weniger mit der Anwendungsperspektive auseinandersetzt. Dies, so ist der treibende Motor der Verantwortlichen, kann eine verbesserte Effizienz bei der Informationsübertragung ermöglichen, was letztendlich eine verbesserte Patientenbetreuung und auch wirtschaftlich optimalere Strukturen zur Folge hat.
Auf der anderen Seite bleibt die Integration diverser IT-Systeme innerhalb der jeweiligen Einrichtungen, aber auch über die unterschiedlichen Gesundheitseinrichtungen hinweg eine Herausforderung, da sich die jeweils notwendigen Standards erst in der Spezifikation und teilweise noch weit vor einer entsprechenden Implementierung in Applikationen und Produkte befinden.
Eine weitere Herausforderung liegt nicht mehr nur im Bereich des Datenschutzes, sondern vor allem im Bereich der Informations- und Datensicherheit, insbesondere im Hinblick auf den Schutz von Patientendaten. Hierbei müssen zum einen technische und organisatorische Grundlagen der Informationssicherheit erst einmal geschaffen werden, zum anderen muss das Bewusstsein für Informationssicherheit bei den Nutzern, aber auch bei den Herstellern von Informationssystemen, medizintechnischen Lösungen und deren Vernetzung erst geschärft werden.
Die Gesundheits-IT-Beratung durch Unternehmen und Einzelpersonen (kurz Beratung) spielt hierbei eine kritische Rolle bei der Überwindung dieser Hindernisse und bei der Förderung der Digitalisierung im Gesundheitssektor. Sie agiert als intermediäre Partei und arbeitet eng mit Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen Gesundheitseinrichtungen, aber auch mit den Lösungsanbietern zusammen, um eine effiziente Integration von IT-Systemen zu gewährleisten und eine angemessene Datensicherheit zu garantieren. Dabei hat sich auch hier die Rolle der Beratung vom Fachingenieur spezieller Fragestellungen zum Systemarchitekten und Prozessgestalter gewandelt, der Kenntnisse zu Technologien, zur Krankenhaus- und IT-Organisation, zu Marktentwicklungen und zum Vergabe- sowie Vertragsrecht in die Planung, die Beschaffung sowie Implementierung einbringt.
Traditionell handelt es sich beim deutschen Krankenhaus-IT-Markt um einen Produkt- und Hersteller-getriebenen Markt, d.h., dass die Kunden in der Regel wenig eigenständige Softwareentwicklung betrieben haben bzw. betreiben. Stattdessen werden Applikationen erworben und nach Möglichkeit an die spezifischen Strukturen adaptiert. Aufgrund fehlender verbindlicher und standardisierter Schnittstellen entwickelten sich hieraus einrichtungsspezifische Krankenhausinformationssystem-Landschaften, die sich meistens an einem Primärsystem bzw. Primärhersteller orientieren und um fachspezielle Verfahren ergänzt sind. Der Aufbau sowohl einer elektronischen Patientenakte als auch einer übergreifenden Prozess- und Ressourcensteuerung ist damit durch die jeweilige Einrichtung nur in dem Umfang steuer- und erreichbar, wie es die Möglichkeiten des Primärsystems in Verbindung mit spezifischen Subsystemen gestatten. Meist entstehen hieraus Prozess- und Datensilos, so dass auch Migrationsszenarien teilweise nur mit hohem Aufwand und der Inkaufnahme von Datenverlusten möglich sind. Damit limitiert sich aber die Möglichkeit, systemübergreifende Prozesse und Ressourcenstrukturen auf Basis der spezifischen Entwicklungsprinzipien des Primärsystemherstellers abzubilden. Aus Sicht einer sukzessiven und langsamen Digitalisierungsentwicklung - wie in den letzten 10 bis15 Jahren - ist diese Strategie für die viele Krankenhäuser durchaus zielführend und berechenbar gewesen. Für Einrichtungen des Gesundheitswesens, deren Digitalisierungsziele deutlich herausfordernder und dynamischer definiert sind, bestand aber schon seit längerem die Fragestellung, die Daten- und Dokumentenstrukturen mittelfristig vom Primär- und erzeugendem System zu entkoppeln und über andere Mechanismen (z.B. IHE, FHIR etc.) sowohl langfristig aufzubewahren als auch nutzbar zu machen. Diese geänderten Anforderungen an die Architektur und Ziele eines Krankenhausinformationssystems, nämlich die Nutzbarkeit von strukturierten Daten für eine übergreifenden Prozess- und Ressourcensteuerung sowohl im unmittelbaren Patientenbehandlungsprozess als auch in den Sekundär- und Tertiärprozessen ohne die langfristige und revisionssichere Aufbewahrung der Patientenakten einzuschränken, wurden durch die zeitlichen und inhaltlichen Rahmenbedingungen des KHZG zusätzlich intensiviert. Gerade im geforderten Bereich der Entscheidungsunterstützung, aber auch für eine Datenweitergabe im Rahmen von Patientenportalen und der Kommunikation mit dem niedergelassenen Bereich entwickeln sich neue Lösungen und Lösungsanbieter unabhängig von den üblichen Primärsystemanbietern, die deutliche Prozessoptimierungen erwarten lassen, ohne die üblichen hohen internen Parametrisierungsleistungen erbringen zu müssen. Das Angebot von serviceorientierten Lösungen (im Sinne eines Managed-Service), die keiner expliziten lokalen Systeminstallation (on premise) mehr bedürfen, besteht gerade in den Diensten zur Entscheidungsunterstützung sowie zum Patientenportal.
Damit verändern sich zusätzlich die Aufgaben und technischen Skills bestehender IT-Abteilungen. Neben der Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der bestehenden Lösungen in den etablierten technischen Umgebungen tritt die Unterstützung des digitalen „Change Prozesses“ und komplexer Projektierungen in den Vordergrund. Durch die sukzessive Verlagerung bzw. Nutzung externer Dienste (s.o.) kommen den Aspekten der Dienstleistersteuerung, aber auch des Informationssicherheits- und Identitätsmanagements wachsende Bedeutungen zu, für die eine qualifizierte und ausreichende Personalausstattung nicht nur kurzfristig zur Verfügung stehen muss.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Einrichtungen des Gesundheitswesens neben allen strukturellen ökonomischen und personellen Herausforderungen auch vor einer massiven Herausforderung durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens stehen. Diese Herausforderung trifft aber in gleichem Maße die Herstellerindustrie als auch die begleitende Beratung. Für die Krankenhäuser kann (und wird) die Digitalisierung eine Chance sein müssen, um den schwierigen Rahmenbedingungen entgegentreten zu können. Für die industriellen Partner wiederum stellt sich die Frage, wie diese mit neuen Lösungen und Diensten sowie der Verantwortungsübernahme ihren Kunden zur Seite stehen können, um deren Entwicklung positiv zu begleiten, ohne dabei die Kundenstruktur zu überfordern oder gerade im Bereich der personellen Ausstattungen mit diesen massiv zu konkurrieren und so eine nutzenbringende Umsetzung der angebotenen Lösungen zu verhindern. Der Gesundheits-IT-Beratung wird aber ebenfalls eine erweiterte Rolle zukommen. Hierbei wird das bisherige Rollenverständnis, dass die Beratung nur das Mandat des Krankenhauskunden vertritt, ggf. aufzubrechen oder zu erweitern sein. Der Berater wird auch Partner der Systemhersteller, um beide Seiten projektspezifisch zu ihrem gemeinsamen Erfolg zu führen und notwendige fachliche oder personelle Lücken zu überbrücken.
Autor: Dr. Andreas Beß, Mönchengladbach
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