Durch die Medizininformatik-Initiative (MII) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wird seit 2018 der Aufbau von sogenannten Datenintegrationszentren (DIZ) an den Universitätskliniken gefördert. In diesen DIZ werden die Voraussetzungen geschaffen, um Forschungs- und Versorgungsdaten standortübergreifend zu verknüpfen und auszuwerten.
Wenn Forschende sich ein ganzheitliches Bild von Patient:innen machen oder große Datenmengen von Kohorten analysieren wollten, standen sie bisher vor großen Herausforderungen. Bei klinischen Studien und Forschungsprojekten mussten die Daten von Patient:innen, welche eigentlich digital verfügbar waren, jedesmal aufs Neue aus lokalen Systemen extrahiert, zusammengeführt und miteinander in Bezug gesetzt werden.
Heute führen die DIZ der Hochschulmedizin diese Aufgaben effizient und qualitativ hochwertig für alle Forschenden am jeweiligen Standort zentral durch und erleichtern die Forschung und Versorgung damit erheblich.
Dabei beschränkt sich das Serviceportfolio eines DIZ nicht nur auf die Bereitstellung von Daten. Damit diese rechtskonform genutzt werden können, bedarf es einer Vielzahl zusätzlicher organisatorischer Maßnahmen, die den Zugriff auf die Daten regeln. Nicht zuletzt werden Mehrwertdienste bereitgestellt, um Daten zu analysieren, mit anderen Forschenden auszutauschen und FAIR (findable, accessible, interoperable, reusable) zu archivieren. Damit wird das DIZ zum zentralen Ansprechpartner für Forschende der Hochschulmedizin und ihrer Partner.
Ziele eines DIZ
Ein DIZ ist eine Einrichtung der Hochschulmedizin, d.h. eine Struktureinheit des Klinikums und/oder der Fakultät, die eng mit der Versorgungs-IT verbunden sein muss. Die enge Verbindung zu den Systemen der Krankenversorgung ist eine wesentliche Voraussetzung für den effizienten Betrieb eines DIZ. Zugleich sollten die DIZ nach Empfehlung des BMBF möglichst hochrangig in der Organisationsstruktur verankert und mit den notwendigen personellen und infrastrukturellen Ressourcen ausgestattet sein, weshalb die DIZ häufig direkt dem CIO, CDIO oder sogar dem Vorstand unterstellt sind. Das DIZ nimmt eine Brückenposition zwischen den Versorgenden und Forschenden ein. Das DIZ-Siegel der MII ist ein sichtbares Zeichen für die Erbringung der Services gemäß den national vereinbarten Zielen. Manche Standorte bezeichnen ihr DIZ auch als Medical Data Integration Center MEDIC, um den Fokus auf die medizinischen Daten für die Forschung (vs. betrieblicher Datenintegration z.B. für das Controlling) zu verdeutlichen.
Im DIZ werden die Daten aus der Routineversorgung unter hohen Datenschutz- und Datenqualitätsansprüchen aus den Versorgungssystemen gesammelt, konsolidiert, verarbeitet und für sekundäre Forschungszwecke bereitgestellt. Dabei werden Daten nur dann verarbeitet und auf Antrag bereitgestellt, wenn entweder ein Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt, oder aber dafür eine entsprechende Einwilligung der Patient:innen vorliegt. Dabei kommt dem Broad Consent (BC) der MII eine besondere Bedeutung zu, da dieser die Nutzung der Patient:innendaten, Kassendaten und Materialien unabhängig von einer spezifischen Forschungsfrage ermöglicht. Für einige DIZ ist aufgrund von Landesvorschriften die Datenverarbeitung sogar erst mit dem BC möglich.
Für die Datennutzung ist die Zustimmung durch das lokale Use-and-Access-Committee (UAC) erforderlich. Die notwendige fachspezifische Unterstützung erhalten die DIZ auch von ihren jeweiligen Datenschutzbeauftragten, Justiziariaten, Ethikkommissionen, Studienzentralen und nicht zuletzt den Kliniken, die nicht nur Datenlieferanten, sondern auch Nutzende und Kompetenzträger bezüglich der Daten (Bedeutung, Relevanz, Qualität) sind.
Das DIZ schafft damit die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die standortübergreifende Nutzung von Daten aus der Patient:innenversorgung für die medizinische Forschung.
Aufbau eines DIZ
Ein DIZ umfasst in der Regel mehrere Bereiche und Komponenten (siehe Abbildung).
In einem klinischen Repository werden Daten aus der Versorgung harmonisiert, indem beispielsweise individuelle Bezeichnungen auf internationale Standardterminologien wie z.B. SNOMED CT oder LOINC abgebildet werden. Dieser Bereich (in der Abbildung rot hinterlegt) enthält identifizierende Daten und kann auch für Zwecke genutzt werden, die über die reine Forschung hinausgehen (z.B. für das Qualitätsmanagement und Controlling).
Nach einer Pseudonymisierung bzw. Anonymisierung der Daten werden diese in ein Forschungsdatenrepository exportiert (in der Abbildung blau hinterlegt). Hier stehen die Daten dann für die (standortübergreifende) Analyse zur Verfügung. Dazu werden die Daten entweder über zentrale Komponenten der MII (insbesondere die Datenmanagementstelle) ausgeleitet, oder die Forschenden können die Daten - ggfs. über verteilte Analyseverfahren wie DataSHIELD - direkt an den Standorten auswerten.
Nicht immer sind beide Bereiche - klinisches Repository und Forschungsdatenrepository - strukturell im DIZ verankert, beispielsweise wenn die klinischen Repositories bereits anderweitig existieren (z.B. in der klinischen IT) oder durch die in der Versorgung eingesetzten Systeme virtuell bereitgestellt werden können.
Neben diesen zwei Bereichen gibt es an jedem Standort ein Use and Access Committee (UAC), das über Projektanträge von Forschenden entscheidet. Manche Standorte verwenden für das UAC die abweichende Bezeichnung Data Use and Access Committee (DUAC), um das UAC von ähnlichen Komitees, beispielsweise in der Biobank, zu unterscheiden.
Treuhandstellen (THS) übernehmen die Verwaltung der Einwilligungserklärungen auf Basis des Broad Consent der MII sowie die Pseudonymisierung der Daten. Dabei sind sie Ansprechpartner für Patient:innen zur Wahrung ihrer Rechte. Je nach lokaler Strategie sind dies unabhängige THS als eigene Einrichtungen, welche auch andere Consente verwalten, oder Basisfunktionalitäten innerhalb eines DIZ. Zukünftig vernetzen sich die THS auch standortübergreifend (föderierte THS) zum Zwecke des Record Linkage.
In der MII wird das Prinzip der föderierten Datenhaltung verfolgt. Dies bedeutet, dass die Daten - soweit möglich - nicht zentral zusammengeführt werden, sondern die Analysen zu den lokalen DIZ gebracht und dort ausgeführt werden. Zentral zusammengeführt werden dann nur die Teilergebnisse (z.B. aggregierte Daten) der Auswertung ohne Personenbezug. Verbunden werden die DIZ durch Komponenten zur verteilten Suche auf Datenbeständen (z.B. das Forschungsdatenportal Gesundheit FDPG für Feasibility-Anfragen) und zur verteilten Analyse beispielsweise mit DataSHIELD.
Der Aufbau und die Erprobung der DIZ stand im Fokus der Aufbau- und Vernetzungsphase der MII (2018-2022), in der Ausbau- und Erweiterungsphase (ab 2023) werden die DIZ zu einer effizient agierenden Routineinfrastruktur der vernetzten medizinischen Forschung weiterentwickelt. Hierzu tragen sowohl die Anwendungsprojekte der MII als auch die zunehmende Anzahl der Datennutzungsanträge bei.
Auch wenn die DIZ durch die MII initiiert wurden, haben sie schon heute eine weit darüberhinausgehende Bedeutung. Als zentraler Knotenpunkt am Standort sind sie prädestiniert, um Daten und Services auch für andere Netzwerke zur Verfügung zu stellen. Beispielsweise arbeitet man seit 2021 im Projekt Aligning Biobanking and DIC Efficiently (ABIDE_MII) daran, die Datenausleitung des Biobankennetzwerks (GBA, BBMRI) und die Patientendaten gemäß dem MII-Kerndatensatz technisch und organisatorisch zu harmonisieren. Als eine von mehreren Infrastrukturen des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) werden die DIZ sich auch mit anderen Forschungsnetzwerken wie RACOON oder NAPKON hinsichtlich Synergien austauschen. Je nach Standort-Strategie werden die DIZ damit zum Provider aller lokalen Knoten der Netzwerke.
Stand der Entwicklung
Schon heute haben die DIZ ihre Leistungsfähigkeit in zahlreichen Projekten und Publikationen demonstriert. Gerade während der Pandemie wurden an vielen Standorten lokale Übersichten und Forschungsanfragen durch die DIZ bedient, welche nicht über die offiziellen MII-Strukturen sichtbar wurden. Dennoch bleiben noch viele Aufgaben offen, wie beispielsweise die Datenqualität (Vollständigkeit, Korrektheit, Plausibilität von Versorgungsdaten) und deren Kommunikation zurück an die Kliniken. Auch die Einführung des Broad Consent ist an vielen Standorten eine große Herausforderung, da die Aufwände der Umsetzung nicht durch externe Mittel finanziert sind und das DIZ als technische Einrichtung häufig nicht über die Möglichkeiten verfügt, die Umsetzung zu forcieren. Nicht zuletzt bedarf die dauerhafte ausreichende Finanzierung und das Personal-Recruiting einer Lösung. Hierzu sind neben öffentlichen Fördergeldern und Eigenmitteln der Standorte auch neue Geschäftsmodelle vonnöten. Daher haben sich viele DIZ bereits Gedanken zu kostenpflichtigen Services wie einer Kollaborationsunterstützung (z.B. Confluence) oder Compute/Storage-Facilities für die Forschung über interne Leistungsverrechnung gemacht.
In den sechs Digitalen Fortschritthubs Gesundheit zeigen die DIZ darüber hinaus, wie auch nicht-universitäre Leistungserbringer in das Forschungsdatennetzwerk eingebunden werden können. Durch die Vernetzung von Patient:innendaten aus kleineren Kliniken und Arztpraxen soll der Datensatz zu Patient:innen vervollständigt und so eine neue Qualität der intersektoralen Forschung ermöglicht werden. Die Hubs stehen hierzu auch mit den Forschungspraxis-Netzwerken in Kontakt.
Zusammenfassung
Die Datenintegrationszentren sind zu einem unverzichtbaren Teil der vernetzten medizinischen Forschung geworden, auch wenn noch einige Entwicklung und Optimierung vonnöten sein wird. Ihr volles Potenzial entfalten die DIZ dabei an den Standorten, wo sie Teil einer von Vorstand und Fakultät unterstützten Digitalisierungsstrategie sind und eng mit der Klinik-IT verzahnt agieren. Die Services der Datenintegration sind auch wichtiger Bestandteil weiterer (inter-)nationaler Netzwerke, so dass Synergien durch eine direkte Beteiligung der DIZ erreicht werden können.
Weitergehende Informationen zu den DIZ, ihren Services und lokalen Ansprechpartner:innen sind auf der Homepage der MII zu finden: https://www.medizininformatik-initiative.de.
DIZ-Siegel der Medizininformatik-Initiative (MII)
Die Datenintegrationszentren der MII leisten den Infrastrukturaufbau für die Nutzung von Versorgungsdaten für die medizinische Forschung. Sie sind nachhaltige Einrichtungen an den Uniklinikstandorten, welche die Daten dezentral zusammenführen und für die bundesweit einheitliche Nutzung aufbereiten. Dabei arbeiten sie datenschutzgerecht und sicher und halten ethische und rechtliche Grundlagen ein.
Quelle: MII Dachmarkenkommunikation
Autor: Prof. Dr. Martin Sedlmayr, Dresden
Foto: Adobe Stock / photon_photo